Der Täter Opfer Ausgleich im Saarland
Einvernehmlich haben das Ministerium für
Justiz, Gesundheit und Soziales und das Ministerium
für Inneres, Familie, Frauen und Sport die Richtlinien zum Täter Opfer Ausgleich im Saarland fortgeschrieben und am 09. Mai 2005 erlassen. Sie sind seit dem 01. Juli 2005 in Kraft.
Gemeinsame Richtlinie des Ministeriums für
Justiz, Gesundheit und Soziales und des Ministeriums
für Inneres, Familie, Frauen und Sport
zum Täter-Opfer-Ausgleich bei Jugendlichen
und Heranwachsenden
vom 9. Mai 2005
(MiJuGs 4205 – 2)
1. Vorbemerkung zum Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) bei Jugendlichen
und Heranwachsenden
Der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) bezeichnet Bemühungen, die nach einer Straftat zwischen Tatverdächtigen und Geschädigten bestehenden Probleme, Belastungen und Konflikte zu bereinigen. Er bietet die Möglichkeit, die bisher im Strafverfahren oft vernach-lässigten Opferbelange zu berücksichtigen. Die Tatverdächtigen konfrontiert er mit dem Verletzungscharakter ihres Verhaltens, dem aktuellen Geltungsbereich strafrechtlicher Normen und der Bedeutung der Rechtsordnung für ein einvernehmliches Zusammenleben. Der TOA verdient im gesamten Verfahren, auch in Fällen beabsichtigter oder bereits erhobener Anklage, Beachtung. Besondere Bedeutung
kommt ihm in Verbindung mit dem Verfahren nach §§ 45 und 47
JGG zu.
2. Anwendungsbereich
Wesentlich für das Gelingen des TOA ist eine sorgfältige Auswahl der geeigneten Fälle. Dabei sollte eine Orientierung an den nachfolgenden Kriterien erfolgen. Deren schematische Anwendung verbietet sich, entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls.
2.1 Für einen TOA eignen sich vorzugsweise Straftaten, durch die eine natürliche Person geschädigt wurde. Er ist aber auch in Fällen, in denen eine juristische Person oder eine Einrichtung verletzt wurde, nicht ausgeschlossen, wenn eine natürliche Person stellvertretend für sie die Opferinteressen wahrnimmt.
Bei den Opfern muss noch ein regulierungsbedürftiger Schaden vorliegen. Soweit es um einen materiellen Schadensersatz geht, ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Tatverdächtigen angemessen zu berücksichtigen. Ein TOA kommt auch bei Taten ohne Vermögensschaden sowie bei versuchten Taten in Betracht, da hier unter Umständen immaterielle Schäden auszugleichen sind.
2.2 Kriminalität mit einem geringen Schuldvorwurf, auf die mit einer sanktionslosen Einstellung zu reagieren ist, scheidet aus dem Anwendungsbereich aus.
2.3 Besonders geeignet für einen Ausgleichsversuch dürften Fälle sein, bei denen der Konfliktcharakter einer Straftat deutlich hervortritt, z.B. Delikte, bei denen Tatverdächtige und Opfer sich kennen und eine Konfliktregelung den künftigen Umgang miteinander erleichtert oder wenn die Straftat mit psychischen Belastungen der Opfer verbunden ist und diese durch eine Begegnung mit den Tatverdächtigen zumindest teilweise abgebaut werden können.
Besonders kritischer Prüfung bedarf es bei Taten mit sexuellem Hintergrund und bei Gewalttaten, namentlich bei häuslicher Gewalt. In diesen Fällen ist die für einen TOA notwendige Autonomie von Opfern gegenüber den Tatverdächtigen häufig nicht gegeben. Gegen eine Eignung für den TOA in diesen Fällen sprechen auch
– einschlägige weitere oder frühere Ermittlungsverfahren der
Tatverdächtigen,
– wiederholte Gewaltanwendung,
– Suchtabhängigkeit bzw. eine vorrangige Therapiebedürftigkeit,
– der Aufenthalt von Opfern in einem Frauenhaus.
Art und Intensität der Gewalt sind zu berücksichtigen.
2.4 Ungeeignet für den TOA sind Fälle, in denen eine zusätzliche Gefährdung der Opfer in Zusammenhang mit dem TOA erkennbar ist.
2.5 Da der TOA nicht zu einer Einschränkung der Unschuldsvermutung
und der Verteidigungsrechte der Tatverdächtigen führen darf, setzt er
voraus, dass die Tatverdächtigen freiwillig die Verantwortung für die
Tat übernehmen wollen.
2.6 Tatverdächtige und Opfer müssen zu einem Ausgleich auf freiwilliger
Basis bereit sein.
3. Verfahren
3.1 In jedem Strafverfahren ist frühzeitig von Amts wegen zu prüfen, ob ein TOA versucht werden soll.
Im Rahmen ihrer Vernehmungen klärt die Polizei ab, ob zwischen den
Betroffenen bereits informell ein Schadensausgleich oder eine Konfliktlösung erfolgt ist oder angestrebt wird und vermerkt dies in den Akten. In geeigneten Fällen sollen Tatverdächtige auf die Möglichkeiten des TOA hingewiesen werden (§ 136 Abs.1 Satz 4 StPO). In diesem Zusammenhang erläutern die Polizeibeamten/ Polizeibeamtinnen den Tatverdächtigen, Geschädigten sowie gegebenenfalls deren Erziehungsberechtigten das Verfahren und den Ablauf des TOA. Die Akten sind abschließend von der Polizei mit dem Aufdruck TOA zu kennzeichnen.
Die Entscheidung darüber, ob ein TOA versucht werden soll, trifft die
Staatsanwaltschaft – auch wenn Anklage erhoben werden soll – in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens. Dabei sollen Anregungen, die von der Polizei, von Verteidigerinnen/Verteidigern, Rechtsanwältinnen/ Rechtsanwälten oder anderen am Verfahren beteiligten Personen gegeben werden, berücksichtigt werden. In geeigneten Fällen ist zu einem möglichst frühen Zeitpunkt mit dem für den Tatverdächtigen zuständigen Jugendamt Kontakt aufzunehmen. Nach Erhebung der Anklage entscheidet das zuständige Gericht.
3.2 Der TOA soll von den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern bei
dem Sozialdienst der Justiz (Vermittler) durchgeführt werden. Dazu setzen sich die Vermittler mit dem für den Tatverdächtigen zuständigen Jugendamt in Verbindung. Das Jugendamt prüft im Einzelfall in eigener Zuständigkeit, ob und wie es den TOA unterstützen will. In geeigneten Fällen kann die Konfliktschlichtung auch insgesamt von dem Jugendamt versucht werden.
3.3 Nach Abschluss ihrer Tätigkeit legen die Vermittler der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht einen Bericht über das Ergebnis der Ausgleichsbemühungen vor, insbesondere über den Umfang der Entschädigungsleistungen. Verpflichten sich Tatverdächtige zu einer zukünftigen Leistung oder zu einem bestimmten Verhalten, überprüfen die Vermittler das Einhalten dieser Zusage innerhalb einer in dem Bericht bezeichneten, angemessenen Frist. Auch das Ergebnis dieser Überprüfung teilen die Vermittler der Staatsanwaltschaft bzw. dem zuständigen Gericht umgehend mit.
Die Staatsanwaltschaft soll gegebenenfalls über eine evtl. Einstellung
des Verfahrens nicht vor dem Eingang des zuletzt genannten Berichts
entscheiden.
3.4 Der Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses ist der mit dem TOA beauftragten Stelle unverzüglich von Amts wegen mitzuteilen (§ 155b
Abs.3 S.2 StPO).
4. In-Kraft-Treten
Diese Verwaltungsvorschrift tritt am 1. Juli 2005 in Kraft. Die Gemeinsame Richtlinie des Ministeriums der Justiz, des Ministeriums für Inneres und Sport und des Ministeriums für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales zum Täter-Opfer-Ausgleich bei Jugendlichen und Heranwachsenden im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen vom 7. August 2001 (MdJ 4205-2) wird zum gleichen Zeitpunkt aufgehoben.
Saarbrücken, den 9. Mai 2005
Der Minister für Justiz, Gesundheit Die Ministerin für Inneres,
und Soziales Familie, Frauen und Sport
(Hecken) (Kramp-Karrenbauer)